Ein Zeitzeugensalon zum ehemaligen Kulturhaus „Stadt Schmölln“

Zeitzeugensalon mit 150 Gästen in der Ostthüringenhalle in Schmölln.
Podium für Zeitzeugengespräch, Leinwand für Interviewfilme und Bühne für „Roger&Band“ in der Ostthüringenhalle in Schmölln. Foto: Jörg Neumerkel

Am 30. Oktober 2021 landete „Der fliegende Salon“ zu einem bewegenden Zeitzeugengespräch in der Schmöllner Ostthüringenhalle. Das Thema: „Damals in der „Esse“ in Schmölln“.
Das ehemalige Kulturhaus „Stadt Schmölln“, durch seinen 27m hohen Schornstein „Esse“ genannt, war vor allem in den 1970er und 80er Jahren das kulturelle Zentrum der Stadt. Hier traf man sich zu politischen Veranstaltungen, aber auch zu Konzerten, geselligen Abenden, privaten und betrieblichen Feiern.
„Die ‚Esse‘ war der kulturelle Mittelpunkt in Schmölln für ein breites Publikum. Es war DER Treffpunkt für alle Einwohner von Schmölln, das breite Spektrum, nicht nur für die Jugend, es konnte jeder dort hingehen, der irgendwas mit sich bereden musste oder feiern wollte, konnte das im ‚Stadt Schmölln‘ tun und das war die wichtigste Geschichte, denke ich, was das Stadt Schmölln für uns geboten hat.“, erinnert sich der Musiker Rudolf Geidel, der 1991 mit der Band „Odyssee“ das letzte Konzert im Kulturhaus spielte.

 

Zeitzeugen und ihre Erinnerungen

Fünf Männer in legerer Kleidung haben sich zum Gruppenbild vor der Bühne einer Rockband in der Schmöllner Ostthüringenhalleaufgestellt. Zwei der Männer sitzen auf dem Bühnenrand. Sie sind die Gesprächspartner für den Zeizeugensalon über das ehemalige Schmöllner Kulturhaus „Esse“.
Die Podiumsgäste vom Zeitzeugensalon über die „Esse“ in Schmölln v.l.n.r.: Sven Franke, Bernd Adam, Roger Witte, Rolf Junghanns, Rudolf Geidel. Foto: Jörg Neumerkel
 

Entsprechend groß war das Interesse der Schmöllner am Zeitzeugensalon – die verfügbaren Karten waren schnell vergeben. Als Gesprächsgäste waren vor Ort: Sven Franke (Vorstand des „Stak“ Schmölln), Bernd Adam (1972-1986 Restaurantleiter im Kulturhaus „Stadt Schmölln“), Roger Witte (Musiker), Rudolf Geidel (Musiker) und Rolf Junghanns (Stammgast des Kulturhauses). Begleitet wurde der Erinnerungsaustausch musikalisch durch die Gruppe „Roger & Band“ mit ehemaligen Mitgliedern der Band „Odyssee“.

Moderator Philipp Reinheimer führte wortgewandt und unterhaltsam durch den Abend. In den Pausen liefen kurze Videos mit Interviews ehemaliger Gastronomiemitarbeiter und Gäste des „Stadt Schmölln“. Viele davon waren auch Gäste des Zeitzeugensalons.

Bereits im Vorfeld hatte das Museum Burg Posterstein die Schmöllner dazu aufgerufen, ihre Erinnerungsstücke und Fotos an diesen kulturellen Mittelpunkt der Stadt, für den Tag und eine spätere Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Über 50 Bilder aus der Geschichte des Kulturhauses konnten bereits zum Zeitzeugensalon gezeigt werden.

 

 

Ein einmaliges Kulturhaus

Auf der Bühne in der Schmöllner Ostthüringenhalle nebeneinandersitzend die fünf Gesprächspartner zum Zeitzeugensalon mit Moderator in der Mitte.
Philipp Reinheimer mit weißem Hemd in der Mitte diskutiert engagiert mit den fünf Gesprächspartnern über das, was von der „Esse“ geblieben ist und vielleicht wieder werden kann. Foto: Jörg Neumerkel

Doch es ging nicht nur um gute, schlechte und kuriose Erinnerungen an die „Esse“. Ein Blick in die Zukunft sollte gewagt werden. Denn in einem Punkt waren sich alle Zeitzeugen einig: Das Kulturhaus war einmalig – würde aber heute nicht mehr funktionieren.
Roger Witte: „So etwas wie die Esse, war ein Phänomen des Ostens. Es war Samstagabend und da gab es Tanz. Den Leuten war es ziemlich egal, was für eine Band gespielt hat: Es war Tanz. 19 Uhr war Einlass, 24 Uhr war der letzte Drink. Und das kann man jetzt nicht mit dem heutigen Stak oder dem Musikclub in Schmölln vergleichen. So etwas wie: ‚Wo gehst du hin? Zu welchen Bands?‘ – das gab es in der Esse nicht! Du hast eine Karte gehabt, hast halb 7 vorm Einlass gestanden und dann war man froh – Treppe hoch, ich bin drin! […] Das kann man mit heute einfach nicht mehr vergleichen.“
Bernd Adam: „So etwas wie die Esse wäre heute undenkbar. Sie war Kultur- und Begegnungsort in Schmölln, auch Ausbildungsobjekt der HO. Ich bin stolz, die letzte Veranstaltung – eigentlich schon nach der offiziellen Schließung – dort organisiert zu haben. Bei den Veranstaltungen haben wir immer zusammengearbeitet. Immer zum Wohl des Gastes. Finanziell mussten wir uns nicht selbst tragen, heute undenkbar. Wir hatten zwar immer die Bemühung ökonomisch zu arbeiten, aber ob das geklappt hat, da sind wir nie sicher gewesen.“
Sven Franke: „Das ‚Stak‘ ist in Schmölln quasi die neue ‚Esse‘ geworden – das kann man so sagen. Wir sind auch ein Begegnungsraum, unabhängig von Musik usw. Bei unseren Veranstaltungen hört man oft von den Gästen: ‚Hier sieht man Leute, die man seit Jahren nicht gesehen hat.‘ Das ‚Stak‘ spricht das jüngere Publikum an, wir haben den ‚Musikclub‘ neben an, der spricht eher für die älteren Leute an. Und würde es uns und den ‚Musikclub‘ nicht geben, wäre die Kulturlandschaft im Schmöllner Land wohl nicht vorhanden.“

 

Ein Thema mit Zukunft und Ausstellung

Moderator Philipp Reinheimer hört Sven Schrade zu. Beide stehen vor der Podiumsbühne in der Schmöllner Ostthüringenhalle
Bürgermeister Sven Schrade verfolgt aus dem Publikum das Zeitzeugengespräch und meldet sich mit einem Ausblick für die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kulturzentrums für Schmölln zu Wort. Foto: Jörg Neumerkel

Was braucht es in modernen Zeiten also für die Kultur, für die Vereine und für die Bürger in Schmölln und Umgebung? Eine wichtige Frage, die an diesem Tag nicht beantwortet werden konnte.

Doch die „Esse“ bleibt auch weiterhin Thema, genauso wie die Frage nach der Zukunft. Mit über 50 Erinnerungsstücken, darunter Fotos, Autogrammkarten, Eintrittskarten, Kleidung und aus dem Kulturhaus stammende Gegenstände, eröffnete das Museum Burg Posterstein am 30. Januar 2022 die auf dem Zeitzeugensalon basierende Sonderschau „Damals in der ‚Esse‘ – Erinnerungen an das Kulturhaus ‚Stadt Schmölln‘“. Die multimediale Ausstellung zeigt aber auch Erinnerungen, Interviews mit den ehemaligen Gästen und Angestellten des Kulturhauses, private Videos aus dem abrissreifen Haus, die Sprengung des Schornsteins 1999 und lässt bewusst Platz für Zuwachs. An einer Pinnwand können die Besucher mit dem Museum und allen Nachfolgenden ihre Erinnerungen teilen, in Vitrinen sind Freiräume für neue Stücke gelassen, die sich langsam aber kontinuierlich füllen. Vor Ort ist das Interesse der Schmöllner stark zu spüren. Über 40 % der Besucher (Stand Mitte Februar 2022) sind extra für die Sonderschau ins Museum gekommen und stammen aus der nahen Umgebung. Tendenz steigend!

Auch digital wird die Ausstellung begleitet – findet Austausch über das Thema statt. In der Facebook-Gruppe Regionale Geschichte Dreiländereck Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, die in der kurzen Zeit schon fast 200 Mitglieder hat, und unter dem Hashtag #EsseSchmölln in den anderen sozialen Netzwerken lädt das Museum herzlich ein, persönliche Erinnerungen an das ehemalige Kulturhaus der Stadt Schmölln zu teilen. Über den YouTube-Kanal der Burg laufen kurze Gespräche mit dem ehemaligen Restaurantleiter des „Stadt Schmölln“ Bernd Adam und richten den Blick auf den gastronomischen Alltag in der DDR.

 

Fortsetzung folgt

Die Ausstellung im Museum Burg Posterstein läuft noch bis 20. März 2022 und wird eine Fortsetzung in Schmölln finden. Im Sommer 2022 wird es im Knopf- und Regionalmuseum Schmölln eine weitere Ausstellung geben. Dabei soll neben der Rückschau dann auch in die Zukunft geblickt werden: Was fehlt den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Schmölln heute ohne Kulturhaus? Was wünschen sie sich für die Zukunft? Ein neuer Antrag für ein Zukunftsorientiertes Format im Zuge des Trafo-Projekts „Der fliegende Salon“ wird bereits von der Stadt Schmölln vorbereitet.

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